Deutz: Großprojekte, Klüngel und jüdische Geschichte

Freilichtmuseum des Klüngels: Deutzer Großprojekte

Oppenheim-Esch, der berühmt-berüchtigte Fonds, hat die Stadt Köln — mit freundlicher Unterstützung kölscher Politiker und Verwaltungsbeamter — oft an der Nase herum­geführt. In Deutz stehen die protzigsten Denkmäler des Klüngels. Ab 1996 baute der Fonds die Kölnarena (heute Lanxess-Arena) mit riesigem Parkhaus — das kaum einer nutzt, weil die Wege so weit sind — und gleich nebenan ein »Technisches Rathaus« als Sitz der Stadtverwaltung. Die Stadt mietet zu haarsträubenden Konditionen zurück und fährt bis heute Millionenverluste ein. Klüngelkulturell ebenso imposant sind die Deals auf dem Deutzer Messe­gelände. Sowohl der Neubau der Nordhallen als auch die Aufgabe des alten Messegeländes haben Gerichte, Wirtschaftsprüfer und Journalisten beschäftigt. Die Verträge aber laufen bis heute weiter.

Auch ohne skrupellose Bankenchefs und Bauunternehmer kann Köln Geld verbrennen: Der Rheinboulevard war 2010 mit Kosten von sechs Millionen Euro veranschlagt, mittlerweile sind es rund 25 Millionen. Auch, weil man nicht bedacht hatte, dass sich archäologische Schätze von der Römerzeit bis zur Industrialisierung finden könnten. Die Reinigung der Freitreppe kostet jährlich zudem 860.000 Euro  — hatte man vergessen, einzupreisen.

Eine besondere Absurdität kann die Kölner Politik für sich allein verbuchen: Den Abriss des Barmer Viertels. 2006 hastig beschlossen mit breiter Mehrheit im Rat, dann Mieter umquartiert und ein intaktes Veedel dem Erdboden gleichgemacht. Seitdem passiert: nichts. Die Vision einer »Hochhaus City« scheiterte. Bis heute liegt das Areal brach. Demnächst soll es Teil der neuen »Messe-City« werden. Den großen Fraktionen ist der Abriss bis heute peinlich, eine ­Aufarbeitung fand nie statt. Man träumt neue Visionen. Vielleicht klappt‘s beim Deutzer Hafen. (Bernd Wilberg)



Vielleicht gelingt mal was: Der Deutzer Hafen

Deutz bekommt ein gigantisches Projekt ans Ufer gesetzt: Der Deutzer Hafen wird zu einem »Entwicklungsimpuls im rechtsrheinischen Köln«, kündigt die Stadt an. Wieder eine Vision für Deutz. Wohnungen für 4500 Menschen und noch mal 5000 Arbeitsplätze dazu. Die Pläne lassen sich gut an, die anfängliche Aufregung unter vielen Deutzern hat sich ein wenig gelegt. Die Bürgerbeteiligung war für Kölner Verhältnisse nahezu vorbildlich. Dennoch bleibt die Sorge, was man sich hier eingefangen hat: 30 Prozent Sozialwohnungen sind versprochen, ein »durchmischtes Viertel«. Es fällt manchem schwer, das zu glauben. Streit gibt es seit kurzem auch wieder: CDU, Grüne und FDP haben beschlossen, die Ellmühle aufzugeben. SPD und Linke protestieren, weil Arbeitsplätze verlorengehen. Für die Architekten bedeutet die Entscheidung, neu planen zu können und zu müssen. Was geschieht in dem markanten Industrie-Ensemble? Denkmalschützer schlagen bereits Alarm. Wird es seinen Charakter behalten? Oder doch mit Balkonen und großen Fenstern zu einer Burg für Reiche entstellt? Kaum zu glauben, dass dies der letzte Streit um das Projekt gewesen sein wird. (Bernd Wilberg)



Top on the hill: Die Engagierten von Deutz

Im Gegensatz zu anderen Kölner Stadtteilen ist die Zahl der Initiativen in Deutz überschaubar. Die wenigen, die es gibt, sind dafür aber umso geschäftiger. »Für mich sind die  top-on-the-hill! Die überholen schon das Linksrheinische!«, sagt Bezirksbürgermeister Andreas Hupke von den Grünen über »Deutz Kultur«, eine Initiative, die sich 2008 gegründet hat. Vielen Deutzern war die zunehmende Eventisierung ihres Stadtteils mit Mainstream-Kultur ein Dorn im Auge. Also haben die Organisatoren das jährliche Festival »Sommerstart« mit anschließender Kulturwoche etabliert. Eine Woche lang, meistens Anfang Juni, finden an mehreren Orten Konzerte, Lesungen, Ausstellungen oder Kabarett statt. Kostenlos, das ist den Organisatoren besonders wichtig, denn sie wollen (Off)-Kultur für alle zugänglich machen.

Neben »Deutz Kultur« rüttelt auch die Flüchtlingsini­tiative das Viertel wach, die Leiter Tobias Kempf im Bürgerzentrum koordiniert. Und dann ist noch »Deutz fami­lienfreundlich«: Vor fünf Jahren erstellten die bloß sechs Mitglieder einen Maßnahmenkatalog, für den sie nun unermüdlich eintreten: bessere Fahrradwege, verkehrsberuhigte Straßen, mehr Grün und weniger Autos, die bessere Nutzung des öffentlichen Raums, attraktivere Spielplätze. Von Baudezernent Franz-Josef Höing und dessen Vorgänger Bernd Streitberger wurden sie schon eingeladen, mit dem Fahrrad- und auch dem Ampelbeauftragten der Stadt sind sie in regelmäßigem Kontakt. Man merke, dass ein Ruck durchs Viertel gehe, findet Sabine Adamy von »Deutz familienfreundlich«: »Die Leute fangen an, schöne Plätze wahrzunehmen und zurückzuerobern. Etwa am Schaurteplatz oder am Tempelplätzchen. Da sitzt jemand auf ein paar Quadratmetern mit einem Tischchen und spielt Schach. Vor ein paar Jahren hat es das noch nicht gegeben.« (Anja Albert)



Vertrieben und ermordet: Jüdisches Leben in Deutz

In Deutz liegt der schönste Friedhof Kölns: der Jüdische Friedhof. Diesen leicht verwilderten Ort kann nur betreten, wer eine Führung bucht — oder zufällig den Gärtner bei der Arbeit antrifft. Der lässt jeden gern herein und zeigt die Grabsteine der Oppenheims, der Familie des Komponisten Jacques Offenbach oder des Sozialisten und Zionisten Moses Hess. Der 1695 eröffnete Friedhof zeugt von der einstigen Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Deutz. Nach einem ersten Pestpogrom 1349 beschloss der Kölner Stadtrat 1424, die Juden »für alle Zeiten« aus der Stadt auszuweisen. Die meisten Kölner Juden ließen sich daraufhin in Deutz nieder, wo sie unter dem »Schutz« des Erzbischofs standen — was vor allem bedeutete, dass sie üppige jähr­liche Zahlungen zu leisten hatten. Nichtsdestoweniger wurde die Gemeinde zeitweise führend im Kölner Kurfürstentum und Deutz zum Sitz des Landesrabbinats. Die meisten Juden lebten anfangs wohl in der Gegend der heutigen Mindener Straße, nah am Rhein. Die alte Synagoge und die darunter liegende Mikwe standen bis 1914 an der Deutzer Freiheit, dann mussten sie dem Bau der Hängebrücke weichen. Der daraufhin angemietete Betsaal am Reischplatz wurde in der Reichspogromnacht 1938 zerstört. In den folgenden Jahren bedeutete der Name Deutz für Tausende  Juden das Todesurteil. Das Messegelände diente seit 1942 als Außenstelle der Baubrigade III des KZ Buchenwald. Tausende wurden hier interniert, um in Kölner Firmen Zwangsarbeit zu leisten. Über den Deutzer Tiefbahnhof wurden mehr als 11.000 Juden in Konzen­trationslager deportiert. (Anne Meyer)